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Unterscheidung der Geister
Wäre Gott nicht unerfaßlich, so wäre er nicht Gott, sondern ein ideologischer Überbau des menschlichen Geistes. Könnte jedermann Jesus von Nazareth seine Gottessohnschaft unmittelbar ansehen, nachweisen, sie andern erklären, wie man eine historische Tatsache aufzeigt, so wäre er gewiß nicht die Erscheinung des wesenhaft unfaßlichen Gottes in der Welt, sondern ein bloßes Glied in der Kette der geschichtlichen Ereignisse. Jedenfalls ist dies die Ansicht Jesu selbst, wenn er sagt: «Niemand kennt den Sohn als der Vater, und den Vater kennt niemand als der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will» (Mt 11,27). Kurz zuvor sagt Jesus auch, wem diese Offenbarung zuteil wird: nicht den Weisen und Klugen; diesen bleibt sie verborgen, sondern den Einfältigen, wörtlich: den Unmündigen. Was von Gott und seinem Offenbarer in der Welt gilt, muß notwendig auch von jenem Gebilde gelten, das Paulus «die Fülle», den «Leib», die «Braut» Christi nennt, das Johannes als «Kyria» anspricht (da sie offenbar teilnimmt an der verborgenen Herrschaftlichkeit des Kyrios Jesus): wer und was diese Kirche als Gegenwart Jesu (und Gottes in Jesus) mitten in der Weltgeschichte in Wirklichkeit ist, kann an ihrer äußern Gestalt, ihrer amtlichen, kultischen, soziologischen Sichtbarkeit ebensowenig abgelesen werden wie die göttliche Qualität Jesu an seinem menschlichen Leib.
Gott erfahren?
Menschen, die einen logisch unwiderleglichen Beweis für den Anspruch der Kirche, die Gegenwart Gottes in Jesus Christus zu sein, fordern – ob sie es nun tun, um sich selbst zu versichern oder um jenen Anspruch bequemer zu widerlegen –, werden vermutlich an Jesus mit der gleichen Forderung herantreten («Wenn er der König von Israel ist, so soll er jetzt vom Kreuz herabsteigen, und wir wollen ihm glauben»), und schließlich auch noch ihren Glauben an Gott von der Forderung abhängig machen, er möge endlich klipp und klar seine Existenz erweisen. Wenn solche Wünsche von den Menschen aller Zeiten vorgebracht werden, die sich gern durch irgendwelche Zeichen und Wunder oder durch technisch erlernbare religiöse Erfahrungen Gottes versichern wollten, so sind sie dem modernen Menschen noch selbstverständlicher vertraut, der nur das als wahr annehmen will, was er mit a + b bewiesen bekommt oder mit den eigenen Sinnen experimentieren kann. Daß dies einem naiven, vielleicht ganz unschuldigen Atheismus gleichkommt, wird dem modernen Menschen oft gar nicht bewußt, weil er diese weltliche Beweisbarkeit aller Wahrheit wie ein Dogma im Blut hat. Daß heute auch innerhalb der Kirche die Forderung nach «Erfahrbarkeit» (gerade der Kirche in ihrer Eigenschaft als Gegenwart Christi) mit einer nie dagewesenen Hartnäckigkeit erhoben und das Dasein oder Nichtdasein echter Kirche am Glücken oder Scheitern solcher «Erfahrung» gemessen wird, ist ein unbewußtes Unterliegen dem Zeitgeist, mag man damit nun sich selber oder andern nachweisen wollen, daß man recht daran tut, in der Kirche den Zugang zu Christus und zu Gott zu suchen.
Aber ob man nun die Erfahrung des Göttlichen als ein Mittel anstrebt, sich dessen innerseelisch zu versichern, oder ob man gerade diese Erfahrbarkeit dazu benützt, das religiöse Erleben auf eine rein psychologische Angelegenheit zu reduzieren und es so der weltlichen Wissenschaft zu unterwerfen: sicher ist, daß, wenn es wirklich um die Beziehung des Menschen zu Gott, seinem Schöpfer und dem Urgrund alles weltlichen Seins gehen soll, von einer direkten Erfahrung nicht die Rede sein kann. «Si comprehendis, non est Deus: wenn du zu begreifen meinst, ist es sicher nicht Gott.» So wird man überall, wo das Verhältnis des Endlichen und Unendlichen, des Relativen und Absoluten, des Weltlichen und Göttlichen einigermaßen rein und konsequent gedacht worden ist, stets eine dialektische Formel finden: Annäherung an eine Erkenntnis des Göttlichen auf dem Wege einer Negation und Durchstreichung unmittelbarer Erfahrung: anstelle eines Erfassens ein Loslassen jedes Willens zum Fassen, um sich erfassen zu lassen, anstelle der sich schließenden Hand des Be-greifens ein Öffnen, um er-griffen zu werden (was aber gerade keine psychologische Ergriffenheit sagt). In jedem Denkschritt, mit dem man an das Absolute herankommen will, die steigende Gewißheit, daß dieses aller logischen Operation entgleitet. Dies aufgrund der einfachen Überlegung, daß Mensch und Gott sich niemals wie das Eine und das Andere gegenüberstehen können, weil Gott «Alles» ist (Sir 43,27), und der Mensch, der bestenfalls «Etwas» ist, nie mit sich selbst vor dem Alles auftrumpfen kann. Er muß, um mit dem Alles in eine Beziehung zu treten, das Alles auch in ihm das sein lassen, was es ist: nicht Etwas, sondern Alles. Bis hier kann die religiös-philosophische Reflexion gelangen, um dann vor dem offenkundigen Paradox zu verstummen: wie denn das «Etwas» Welt und Mensch neben oder unter oder innerhalb des Alles Gottes überhaupt Daseinsraum gewinnen kann: ob es vielleicht doch nicht Etwas, sondern Nichts ist (weil Gottes Alles ist) oder ob Gott vielleicht doch nicht Alles, sondern der Welt bedürftig ist, um Alles zu werden (weil der Mensch Etwas ist).
Einzig das Christentum (mit seinem Vorspiel im Alten Bund) scheitert nicht tragisch an diesem Paradox, sondern darf aufgrund der Selbstkundgabe Gottes im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi die Aussage wagen, daß Gott unendliche Freiheit ist und ohne Nötigung sich ein freies Bild seiner selbst gegenüberstellen konnte und wollte – das wußte der Alte Bund –, daß er aber in seiner Freiheit immer schon unendliche Hingabe seiner selbst, unendlicher Selbstüberstieg der Liebe ist: dieses trinitarische Mysterium öffnet sich erst im Neuen Bund. Damit erhält das allgemein-religiöse Verhältnis Gott-Mensch eine unerhörte Überhöhung. Einmal ist (im Alten Bund) das Endliche des Menschen durch die Unendlichkeit Gottes nicht mehr bedroht: Gott ist so göttlich frei (und deshalb allmächtig), daß er aus seiner Allheit Spiegelungen seiner selbst heraussetzen kann: eine Freiheit, die nicht Raum hätte zum Schaffen, wäre keine. Daß aber der unendliche Gott in keiner Weise des Menschen bedarf, um Gott zu sein (sich seine Freiheit zu beweisen: Hegel), daß er nicht aus einer Ohnmacht der Liebe heraus erst deren Allmacht erringen muß, dies wird im christlichen Mysterium kund: Gott der Vater hat die Welt in seinem Sohn und durch ihn und für ihn (Kol 1,16f.) erschaffen, das heißt innerhalb einer vorweltlichen, ewigen Hingabe, in der Allmacht und «Ohnmacht» der Selbstverströmung an den «Geliebten» (Eph 1,6), was beides schlechterdings identisch ist. Der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht und ihre gegenseitige Liebe ist, ist als die personifizierte Liebe Gottes die höchste, freieste Macht (jenseits aller «zwingenden» Weltmächte), und zugleich die unendliche Verletzlichkeit: man kann ihn «hemmen» (1 Kor 14,39), ihn «betrüben» (Eph 4,30), ihn «auslöschen» (1 Thess 5,19), wie es entsprechend schon im Alten Bund hieß: «Sie empörten sich und betrübten seinen Heiligen Geist» (Is 64,10).
Das christliche Gottesbild geht über das allgemein religiös-philosophische darin hinaus, daß Gott kein regloses Absolutes ist, das wesensmäßig das Endliche durchfüllt, dem dieses somit den gebührenden Raum gewähren muß, damit Gott in ihm sein kann, was er in Wirklichkeit schon ist (dieses Raumgeben wird zuhöchst, am Ende aller aszetischen Selbstauslöschungsübungen, ein erkenntnishaftes, gnostisches Moment sein). Vielmehr ist Gott immer schon der, der sich in Freiheit liebend hingegeben hat, der deshalb auch ein freies und liebendes Raumgeben für seine sich-ergießen-wollende Liebe sucht, um in der geschaffenen Freiheit bei sich selber zu sein, um diese geschaffene Freiheit deshalb auch mit seiner eigenen unendlichen Freiheit «bewohnen» (Joh 14,23), sie aus dem Schoß der unendlichen Liebeshingabe (des Vaters an den Sohn im Heiligen Geist) neu «zeugen» und «gebären» zu können (Joh 1,13; 3,5; 1 Joh 3,9). Der in den raumgebenden Menschen gesendete und eingesenkte Heilige Geist aber ist, als der gleichsam nackte Kern der ewigen Liebe der (versehrbarste) Punkt, an dem der menschliche Geist den göttlichen hüllenlos berührt. Daher ist das Wort Jesu verständlich, daß jede Sünde und Lästerung dem Menschen vergeben wird (der Sohn ist gekommen, sie zu tragen, und der Vater hat den Sohn gesandt und preisgegeben, damit er das tue), «aber die Lästerung wider den Geist wird nicht vergeben werden» (Mt 12,31; vgl. Hebr 6,4-6).
Fügsam im Geist
Wenn das Allgemein-Religiöse als «Raumgeben» dem Absoluten beschrieben werden mußte (so in allen Abschlußformen asiatischer, griechischer, islamischer Religion, wenn einmal die große Versuchung zum Magischen überwunden ist), so unterschied sich das Christliche dadurch, daß der Gott, dem Raum gegeben wird, selbst schon ein raumgebender ist: als Gott Vater, der dem Sohn Raum in Gott gewährt, als Gott Sohn, der sich als das Raumgewähren des Vaters versteht und deshalb dem Vater allen Raum in sich freigibt («meine Speise ist, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat»), als Geist, der erweist, daß dieses gegenseitige Raumgewähren die innerste Göttlichkeit Gottes ist: eben dieser Vollzug von Freigabe und Gewährenlassen ist das höchste Vermögen, die absolute Macht, aber Macht der sich hingebenden Liebe. Ist der Vater in seiner Hingabe «aktiv» («männlich»), der Sohn «passiv» (sich selbst empfangend, «weiblich», wobei er aber als Gezeugter sich sogleich aktiv empfängt), so ist der Geist zwar einerseits in sich das «Passivste»: da er sich als das Ergebnis zweier personaler Aktivitäten werden läßt), aber anderseits das «Aktivste», weil die Begegnung von Vater und Sohn in ihrer ewigen Liebe der eigentliche, weil vollendende, besiegelnde Akt der Gottheit ist. Einerseits gleichsam reine «Resultante», Fazit und damit objektives Zeugnis der gegenseitigen Liebe von Vater und Sohn, anderseits deren Blüte und Frucht, deren jubelnde «Exultante», gegenseitige Inspiration, kreative Phantasie der sich gegenseitig ewig neu begeistenden Liebe, die sich von dem «Gipfel» der Gottheit in deren «Grund» hinein anregen läßt: «Die Letzten werden die Ersten sein»; so lieben Eltern sich neu gemäß dem aus ihnen gewordenen Kind. Der Geist in Gott als absolute Rezeptivität ist als solcher der Ausdruck der ganzen göttlichen Spontaneität.
Soll ein Mensch dem Geist Gottes gemäß gestaltet werden, so muß er in dessen Paradox einbezogen werden: wo er am rezeptivsten, am gefügigsten ist, wird er auch am spontansten sein können und müssen, sonst stünde seine Rezeptivität im Verdacht, keine christliche zu sein. Die volle Empfänglichkeit für den Geist ist immer schon volle Bereitschaft, ihn zu empfangen und zu beherbergen, Fügsamkeit im voraus für alles, was er schenken und verfügen wird. Weil der Geist aber Gott ist, und seine Ankunft im Menschen göttliches Leben mit sich bringt – eine qualitativ andere Wirklichkeit und Gesinntheit –, kann die volle Empfänglichkeit für ihn keinesfalls aus des Menschen eigenen Kräften bestritten werden, sondern muß bereits aus dem Geist geschenkt und durch ihn in Freiheit angenommen worden sein. Gleichgültigkeit für das, was geschehen mag, ist das reine Gegenteil der Bereitschaft Marias: «Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe gemäß deinem Wort.» Fügsamkeit dem Geist muß immer schon von der Fügsamkeit des Geistes selbst zehren, muß Fügsamkeit im Geist sein. Dies unbeschadet des unendlichen Abstands zwischen Gott und Geschöpf, der das Geschöpf als «Knecht» an den untersten Platz stellt, ihm keineswegs erlaubt, die Gedanken und Pläne seines Herrn zu antizipieren oder gar mit Gott zusammen planen zu wollen; es muß eine leere Schreibtafel sein, auf die der Griffel zeichnen kann, was er will und auch jederzeit auswischen, was ihm nicht mehr gefällt. Ist aber die Fügsamkeit der Kreatur eine solche im Geist, so ist das jeweils Aufgezeichnete das, worauf die ganze Bereitschaft des menschlichen Geistes hingespannt war; die offene Breite der noch unbestimmten Bereitschaft kristallisiert genau an der Stelle, die das Wort Gottes bezeichnet. Diese Gespanntheit ist Teilnahme an der ewigen Spontaneität des Geistes, der als die ewige Erfindungskraft Gottes sich doch einzig von dem ewig Gegebenen inspiriert: von der Liebe zwischen Vater und Sohn.
Daß ewige Rezeptivität und Spontaneität im Innersten unseres geschöpflichen Geistes lebendig sein kann, ohne uns der eigenen geschöpflichen Freiheit zu entfremden oder diese machtartig zu überwältigen, liegt in den früher gemachten Voraussetzungen: daß Gott überhaupt nie «Etwas» ist, sondern «Alles», und daß der Gott der Christen in seiner Allmacht die Ohnmacht der liebenden Hingabe hat. Wenn die (einfache) Rezeptivität des gezeugten Sohnes dem Vater gegenüber, der ihn als Wort ausspricht, ihn dazu designiert, menschwerdend unser Bruder zu werden, weil wir geschaffene Kreaturen in analoger Weise uns vom Vater als Schöpfer her empfangen, um das zu sein, was er uns zuspricht, so setzt die (doppelte) Rezeptivität des Geistes (Vater und Sohn gegenüber) die «Existenz» des Sohnes schon voraus und der Geist ist dessen adäquate Antwort an den Erzeuger: in ihm ruft er «Abba, Vater» – wie derselbe Geist die Stimme des Vaters an den Sohn ist: «Heute habe ich Dich gezeugt …, Du bist mein geliebter Sohn.» Zweieinige Stimme, die von beiden hervorgehaucht, aus ihrem Eigensten ausgehend, gerade so die spontane Stimme des Geistes ist, als Geist des Vaters und des Sohnes. Sind wir Kreaturen im menschgewordenen Sohn als Kinder Gottes wiedergeboren, so geht der Heilige Geist aus unserem persönlichsten Innern aus: unser Geist, zur Freiheit Gottes befreit, gewinnt darin seine eigenste, unverwechselbare Freiheit. Beides ist wahr: daß wir im Heiligen Geist erfahren, «daß wir Kinder Gottes sind», und daß wir es deshalb sind, weil wir «vom Geiste Gottes geleitet werden» (Röm 8,16.15).
Nun aber bleibt unsere Teilnahme am Geist immer bedingt durch den vom Vater zu uns gesendeten Sohn, den Menschensohn, der am Kreuz stirbt und aufersteht, der sich – um des Vaters Liebe zu beweisen – für immer an die Kirche eucharistisch verströmt. In dieser seiner vom Vater aufgetragenen und anerkannten Selbstverströmung ist er «bis ans Ende der Liebe» (Joh 13,1) gegangen, hat er in der Menschengestalt seine göttliche Antwort an den Vater verwirklicht und damit den Geist (der sein ganzes Menschsein und Leiden in ihm begleitet hat) auch als Mensch ausgehaucht, ihn den Seinen übermittelt und freigegeben. Damit ist die Grundlage für die christliche «Unterscheidung der Geister» gegeben: «Geliebte, traut nicht jedem Geiste, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten in die Welt ausgegangen. Daran erkennt ihr den Geist Gottes: jeder Geist, der bekennt, daß Jesus Christus im Fleische gekommen ist, ist von Gott. Und jeder, der Jesus auflöst, ist nicht aus Gott. Das ist der Geist des Antichristen, von dem ihr gehört habt, daß er kommen soll, und der jetzt bereits in der Welt ist» (1 Joh 4,1-3). Entscheidend ist hier die Sequenz Menschgewordener – Geist, und im Menschgewordenen sieht Johannes stets den Sohn, der vom Vater für die Welt ans Kreuz geliefert und von ihm durch die Auferstehung beglaubigt wurde. Gewiß ist der Geist, der «vom Vater aus geht» (Joh 15,26), den der Vater «uns senden wird» (14,26) «vaterförmig», denn im Geist werden wir ja – aus Gnade mit dem Sohn zusammen – aus dem Vater (wieder-)geboren. Er ist aber ebenso wesenhaft «sohnförmig», nicht nur weil der Vater ihn nur auf «Bitte» des Sohnes (14,16), «in meinem Namen» (14,26) sendet, ja weil der Sohn ihn selbst vom Vater her sendet (15,26), sondern weil er ganz ausdrücklich jener Geist ist, der des Sohnes ist, der ihn (als Wort des Vaters) «ohne Maß», in der Fülle, «mitteilt» (Joh 3,34), als Ströme lebendigen Wassers, die ihm entfließen (Joh 7,38f.), wenn er «verherrlicht ist», den Geist im Tode aushaucht (Joh 19,30), um ihn auferstehend der Kirche einzuhauchen: «Empfangt den Heiligen Geist» (Joh 20,22).
Der Übergang ins Praktische ergibt sich leicht: Einheit des sich (im Tode eucharistisch) selbst verströmenden Wortes Gottes und des in dieser Verströmung ausgehenden Geistes, der die eigentliche Bestätigung und Verteidigung und pneumatische Exegese Jesu in seiner Gesinnung ist (Joh 14,26; 15,26; 16,13-15). In diesem und keinem andern Sinn ist Pauli Wort zu nehmen: «Der Herr ist der Geist» (2 Kor 3,17): er selbst im Fleisch je vom Geist bestimmt und getrieben, und er selbst in der Selbsthingabe «in seinem Todesleiden» (2 Kor 4,10) offenbarend, wes Geistes er ist. Wer also die Quelle des Geistes hinter sich lassen und «einen Schritt voran» tun will, trennt das Wasser von der Quelle und hat weder den Vater noch den Sohn (2 Joh 9). Für Johannes ist dieser «Fortschrittling» (proagōn) der eigentliche Häretiker, der «Jesus auflöst». Daß nach oder hinter Christus her ein Reich oder Verhalten des Geistes kommen könnte, war in der Tat die von den Montanisten bis zu den Joachimiten und den Aufklärern und Idealisten immer wiederkehrende Mißdeutung der Christusförmigkeit des Geistes, anders gesagt: der untrennbaren Einheit von Trinität und Inkarnation.
Alles entscheidet sich demnach dort, wo christliche und kirchliche Spontaneität – im Erfinden neuer Strukturen und Gehalte kirchlichen Lebens – sich zur Rezeptivität des Geistes verhält, der «über mich Zeugnis ablegt und auch ihr sollt (entsprechend!) über mich Zeugnis ablegen» (Joh 15,26-27), der «nicht aus sich selber redet», sondern «von dem Meinigen nimmt und es euch verkündet» (Joh 16,13.15). Denn das, was der Christ bei seiner Taufe als erstes erhält, ist – in der Geburt aus Gott – die Gleichgestaltung mit dem gekreuzigten Herrn: «auf seinen Tod» sind wir getauft, und müssen deshalb, weil wir gestorben und begraben sind, ein von der Sünde lediges Leben führen (Röm 6,1-2): von der Auferstehung mit dem Herrn wird hier nur im Futur gesprochen, auch wenn die Kraft, sündelos zu leben, uns jetzt schon von der Auferstehung Christi herkommt. Wir sind «aus den Toten Lebende» (ek nekrön zōntas, Röm 6,13). Der Geist aber, der uns geschenkt wird, ist der aus dem sterbenden Hauch auf uns zu ausgehauchte: ewiges Leben aus dem Toten. Von hier aus wird Unterscheidung der Geister konkret.
Unterscheidung konkret
Geisthaft spontan ist nur, wer gleichzeitig im dauernden Empfang lebt: der Geburt aus dem Vater, des Bildes des eucharistischen Sohnes, des von beiden ausgehenden in unseren Herzen betenden und seufzenden Geistes (Röm 8,26-27). Er ist Geist der Kindschaft zu Gott und aus Gott und gleichzeitig Geist des in Mündigkeit übernommenen Auftrags (1 Kor 14,20). «Phantasie» und «Gehorsam» stehen sowenig in einem Gegensatz zueinander, daß sie sich vielmehr gegenseitig fordern und fördern, daß, wo das eine sichtlich zu kurz kommt, sicher auch das andere heimlich verletzt ist. Gehorsam ist hier zuerst jene Fügsamkeit des Geistes, der sich aus Vater und Sohn entspringen läßt und der Geist unserer gegenseitigen Hingebung sein will; er ist dann der Geist der Fügsamkeit des menschgewordenen Sohnes gegenüber dem Willen des Vaters, der ihm vom Heiligen Geist vorgestellt wird, und er ist, auf beidem fußend, der kirchliche Gehorsam, der zunächst alle Christen als Glieder am Leibe Christi kennzeichnet – «seid einander untertan in der Furcht Christi» (Eph 5,21), «jeder achte in Demut den andern höher als sich selbst» (Phil 2,3) – und dieser Geist verlangt dann, daß «ihr jene, die sich unter euch abmühen, die euch im Herrn vorstehen und euch zusprechen, in Liebe um ihrer Arbeit willen besonders hoch schätzt» (1 Thess 5,12-13). Dieser Geist der Fügsamkeit zu Gott und den Menschen entledigt den Christen der bedrückenden Last, mit seiner «Phantasie» alles von Grund auf erfinden zu müssen; er darf kindlich den Geist sich schenken lassen, der erfindungsreicher ist als alle Geschöpfe, und vom Geist «getrieben» (Mk 1,12; Röm 8,14) das christlich je Neue, je Aktuelle in Welt und Geschichte miterfinden. Er wird dann entdecken, daß in dem von Gott her der Kirche Überlieferten unendlich mehr liegt, als was von den Christen entdeckt und gelebt worden ist, daß aber dieses neu zu Entdeckende je aus der göttlichen Grundlegung stammt. In diesem Sinne gilt der Satz: nihil innovetur nisi quod traditum est.
1. Die Tendenz besteht, in kleinen Gruppen, die sich natürlich und spontan zusammenfinden, Kirche neu zu leben und deren Sinn zu erfahren: als Gemeinschaft, die sich durch gegenseitige Stärkung und Anregung wirksam und fruchtbar erweist, dort wo eine traditionelle Gemeinde in ihren unorganischen Gottesdiensten und Pfarrvereinen sich selbst und der Umwelt unglaubhaft bleibt. Die kleine Gruppe ist nicht nur beweglicher, sondern phantasievoller: sie findet im wehenden Geist die neuen, zeitgemäßen Aufgaben, sie besitzt, in der gegenseitigen Anregung der Glieder, die Initiative, das Geplante durchzuführen. Die Frage an solche Gruppen ist die, ob sie bereit sind, sich als ein Glied der Catholica zu verstehen und sich auf dieses Eine und Ganze zu übersteigen, das die Kirche Christi auch ihrer irdisch-sichtbaren Struktur nach sein muß, die nicht nur «ein Geist», sondern auch «ein Leib» (Eph 4,4) ist, aufgrund der einen eucharistischen Hingabe Christi, der die Gruppe beseelt, sind wir doch «durch den einen Geist alle in einen Leib hineingetauft», um so wieder «alle mit dem einen Geist gestärkt» zu werden (1 Kor 12,13). Die Gruppe ist ein Glied an diesem Leib und wird durch die Strukturgesetze des gesamten Organismus bestimmt: nicht primär in der Äußerlichkeit einer Organisation, sondern zunächst aus tieferen Bedürfnissen des Geistes Gottes, der zum Besten des ganzen Leibes «jedem seine Gabe zuteilt, wie er will» (ebd. 11). Nicht nur auf dem Niveau der Einzelnen, sondern ebenso auf dem der Gruppe gelten die Gesetze der Charismatik, wie sie Paulus ausführlich, immer von der Gesamtkirche her, entwickelt hat (Röm 12; 1 Kor 13; Eph 4). Nur in der Bereitschaft zum Überstieg auf das Ganze erweist sich die Echtheit einer charismatischen Gruppe, die gewiß befugt ist, ihre Spontaneität innerhalb des Ganzen anzumelden, zu betätigen und gemäß den Proportionsgesetzen des Ganzen auch durchzuführen.
2. Ebenso besteht die Tendenz zu betonten Geist- oder Pfingstkirchen, heute auch innerhalb der Catholica, und diese weisen sich zweifellos durch erstaunliche Phänomene geistlicher Erneuerung, durch Eifer im Gebet und apostolische Einsatzbereitschaft aus. Charismatische Gnaden, die denen der Urkirche gleichen, blühen in ihnen und werden oft mit echter Diskretion behandelt. Aber auch diese Kirchen müssen der Unterscheidung der Geister unterworfen werden: dort wo bewußt oder unbewußt eine Direktheit der Geisterfahrung behauptet oder gar angestrebt wird. Wir sagten schon eingangs: Gott ist wesenhaft nur durch Nichterfahrung hindurch erfahrbar; christlich gewendet: nur durch den entscheidenden Verzicht, der im Glauben, in der Hoffnung, in der christlichen Liebe liegt. Glaube heißt: Du, Gott, hast auf jeden Fall recht, auch wenn ich es nicht einsehe oder vielleicht das Gegenteil wahrhaben möchte. Hoffnung heißt: in Dir, Gott habe ich allein sinnvollen Bestand, und dafür lasse ich alle Selbstversicherung fahren. Liebe heißt: alle meine Kräfte und mein ganzes Gemüt strengt sich an, Dich, Gott, zu bejahen, und jene Menschen, die Du mir zu «Nächsten» zugewiesen hast. Wenn von diesen drei zentrifugalen Bewegungen etwas auf mich zurückstrahlt, bestätigend, so gehört dies nicht zum Sinn der Bewegung selbst, und schon gar werde ich die Bewegung nicht um jener Bestätigung willen vollziehen. Die Dinge verhalten sich vielmehr paradox: je weniger einer sich und seine Erfahrung sucht, um so eher kann ihm eine solche zuteil werden; je mehr er dagegen nach seiner Befriedigung schielt, um so weniger erhält er sie, oder die gewonnene Erfahrung ist christlich falsch. Sie ist allenfalls eine seelische Erregung, ein lustvoller Enthusiasmus, wie man ihn religionsgeschichtlich und religionspsychologisch in sehr vielen nichtchristlichen religiösen Versammlungen findet. Die überlieferten klassischen «Regeln zur Unterscheidung der Geister» (vom Pastor Hermae über Origenes, Antonius, Evagrius, Diadochus, zu Bernhard, Dionys dem Kartäuser und zum Exerzitienbuch Ignatius’ von Loyola1) weisen immer wieder, in verschiedenster Weise, auch die Gebrochenheit solcher Erfahrung, die sich erst dort zu einer Eindeutigkeit klärt, wo der Christ und Beter eine gewisse Endgültigkeit der Loslösung von sich selbst und seinen Erfahrungserwartungen erreicht hat. Will doch der Heilige Geist nichts anderes, als in uns «Christus ausgestalten» (Gal 4,19): Christus aber «lebte nicht sich selbst zu Gefallen» (Röm 15,3), «suchte nicht die eigene Ehre» (und deren Befriedigung Joh 5,41), «hielt nicht an seiner Gottgestalt (und Gotteserfahrung) fest» (Phil 2,6), wurde um unsertwillen «arm» (2 Kor 8,9). Die Entäußerung kennzeichnet den Sohn in seiner Erniedrigung, um uns ihm gleichzugestalten, wird der Geist uns vor allem in diese Bewegung einüben: das wird das Echtheitszeichen der Pfingstkirchen sein.
3. Endlich die Tendenz, das christlich Geglaubte und von Gott uns Geschenkte umzusetzen in segensreiche Bemühungen für die Welt: Bemühung um den Frieden, um die soziale Gerechtigkeit, um die Hilfe für unterentwickelte Völker. Nur da, wo diese Umsetzung ins Praktische erfolgt, läßt sich, nach vielen, der Geist Christi feststellen. Solange die Anstrengung, dem Christlichen in der Welt Gestalt zu verleihen, den Christen beseelt, ist er auf dem Weg Christi; wenn aber der Erfolg dieser Anstrengung ihm zum Maßstab wird, weicht er ab. Es mag hier nützlich sein, sich an die alttestamentlichen Kriterien für echte Prophetie zu erinnern: die Heils- und Friedenspropheten sprachen mehrheitlich nicht aus dem Heiligen, sondern aus ihrem eigenen Geist und Gutdünken (Jer 28, vgl. Jer 23, Mich 3,5; Ez 13,10.16); es ist fast immer das Unerwünschte, das der Prophet auszukünden hat, kraft seiner eigenen Sendung, aber auch aufgrund der Gesetze der Heilsgeschichte; selbst die erfolgreichen Zeichen und Wunder, die die Friedenspropheten wirken, genügen nicht zu deren Beglaubigung, sie können auch eine Erprobung von Gott her sein (Dt 13,2-3). Wieder muß alles durch das Feuer eines grundsätzlichen Verzichts hindurch, um christlich glaubhaft zu werden: das ist der Sinn der Versuchungen Jesu in der Wüste. Und sie sind die wesentlichen, bleibenden Versuchungen der Kirche, die Jesus von innen her in ihrer verführerischen Macht kennen wollte, um der Kirche ebenfalls von innen her helfen zu können. Alle irdischen Güter, zumal die von der Technik der Menschen geprägten, tragen eine Ambivalenz an sich, in die die christliche Absicht nicht miteingehen darf. Die technischen Mittel, die einfachen, «unterentwickelten» Völkern dargereicht werden, zeigen ihre Zweischneidigkeit nur allzudeutlich, selbst dann, wenn sie mit aller Vorsicht und Verantwortung eingeführt werden. Bis zu einer gewissen Kulturstufe mögen sie sich vorwiegend heilsam auswirken; aber sie drängen von selbst über diese Stufe hinaus und führen die Völker unweigerlich in die Krisen hinein, in denen unsere Kulturen sich umtreiben. Um so sinnloser erscheint das heutig weitherum gebotene Programm, sich mit Entwicklungshilfe und der darin sich äußernden «humanen» Gesinnung zu begnügen und auf eigentlich christliche Mission zu verzichten. Denn allein die Glaubenswerte könnten den Völkern erlauben, mit den gefährlichen Kulturwerten halbwegs fertig zu werden. Der Christ ist zu jeder Anstrengung aufgerufen, das Elend der Welt, Krieg, Hunger, Unmoral, dumpfe Verzweiflung zu bekämpfen; einen durchschlagenden Erfolg seiner Anstrengung zu erwarten wäre aber schon wieder unchristlich. Je freier die Menschheit werden wird, desto verlockender wird es werden, die Mittel, die ihr zu dieser Freiheit verhalfen, als Mittel der Macht zu mißbrauchen. Mit der Weltbeherrschung steigt notwendig die apokalyptische Weltbedrohung. Keine Rede kann davon sein, daß das Kreuz Christi, das auch seiner Kirche mitzutragen auferlegt ist, an Aktualität verlöre. Wahrscheinlich wird es, unter den Mammutmächten der technischen Kultur, schwieriger als früher, Christ zu sein. Dann wird es Zeit, sich an die Kennmale des Heiligen Geistes zu erinnern: daß er sich werden läßt aus einer doppelten ewigen Hingabe, deren Glorie und Exponiertheit er ist: Allmächtigkeit und Verletzlichkeit der Liebe widersprechen einander nicht, so wie auch die Menschwerdung dieser Liebe, ihre Kreuzigung und Auferstehung einander nicht aufheben, solange die Welt steht und der Geist ihr die Gesinnung Gottes offenbart.
- Vgl. Art. Discernement des Esprits, in Dict. de Spiritualité III (1957) Sp. 1222-1291 (Lit.), J. Mouroux, L’Expérience chrétienne. Paris 1952; Leo Bakker, Freiheit und Erfahrung, Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen über die Unterscheidung der Geister bei Ignatius von Loyola. Würzburg 1970.↩

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Unterscheidung der Geister
Ottieni
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo