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Weltgemeinschaften – ein Paradox
Die Bewegung, die 1947 mit der Apostolischen Konstitution Provida Mater zur kirchlichen Anerkennung der neuen «Weltgemeinschaften» (Instituta Saecularia) geführt hat, kam von unten. Nach frühen, geglückten (Ursulinen) oder missglückten (Maria Ward) Versuchen, über die kanonistischen Schranken hinweg ein Leben der radikalen Nachfolge Christi in der Welt zu führen, waren es bezeichnenderweise die Bedrängnisse der Französischen Revolution mit ihren Klosteraufhebungen, die zur Verbindung zwischen Leben mitten in der Welt und evangelischen Räten Anlass gegeben haben. Zu Beginn unseres Jahrhunderts mehrten sich spontan die Versuche, obschon ihre paradoxe Vereinigung dessen, was bisher unvereinbar schien, noch immer Misstrauen und Ablehnung erweckte, bis die genannte formelle Anerkennung kam.
Aber diese Anerkennung kann das Paradox höchstens gutheißen, beheben kann sie es nicht. Ein Leben, wie die Weltgemeinschaften es führen, wird auch innerhalb der Kirche – bei Konservativen wie bei Liberalen – auf Bedenken, oft auf Geringschätzung stoßen, wie es außerhalb der Kirche fast immer völligem Unverständnis begegnen wird. Wie kann ein Mensch, der ernstlich und vollverantwortlich die weltlichen Dinge – berufliche, finanzielle, politische und so fort – verwalten will, zugleich «im Gehorsam» leben, und wie kann einer, der ernstlich alle Mühen und Lasten des mitmenschlichen Daseins teilen wird, um Christi willen ehelos bleiben wollen und damit die Erfahrung eines der wichtigsten Gebiete menschlichen Daseins verweigern? Ist die Vereinigung von Existenz mitten in der Welt und zugleich in den evangelischen Räten nicht ein hölzernes Eisen, wobei ob der versuchten unmöglichen Amalgierung das klare Zeugnis und die Wirkung beider christlicher Lebensformen verloren geht? Der Einwand hat Gewicht.
Wir können die Dinge aber auch einmal von der andern Seite her ansehen. Ist nicht jeder Christ berufen, «in der Welt, aber nicht von der Welt» zu sein, die Dinge der Welt «zu gebrauchen, als gebrauchte er sie nicht»? Gilt nicht auch schon von diesem allgemeinen christlichen Paradox das Wort: «Wer es fassen kann, der fasse es»? Ist es nicht eine zu leichte Lösung, wenn die einen (die «gewöhnlichen» Laien) sich auf das «Gebrauchen» der Dinge spezialisieren, während die andern, Ordensleute, Kongregationen, zölibatäre Priester, von standeswegen den Nachsatz «als gebrauchten sie sie nicht» repräsentieren? Das von der Taufe her auf jeden christlichen Weg mitgegebene Paradox muss von allen klar und deutlich vorgelebt werden; die «Weltgemeinschaften» stellen sich heute bewusst auf den genauen Punkt, wo die beiden Forderungen sich begegnen, wo die Naht – ein für allemal und täglich neu – zusammengenäht werden muss, gleichgültig ob sie sich damit in Kirche und Welt als Störenfriede missliebig machen.
Hierzu noch eins: die Weltgemeinschaften haben die Notwendigkeit, das christliche Paradox auf diese Weise zu leben, in aller Ruhe und Entschlossenheit als ihre Aufgabe erkannt, längst bevor nach dem Konzil der nervöse Trend aus kontemplativen und aktiven Orden und aus den Formen überlieferten Priestertums heraus nach der «Welt» hin eingesetzt hat. Sie brauchen nicht nach der Welt zu streben: sie sind schon darin. Sie verraten aber auch in ihrer Säkularität die besondere Erwählung zu den evangelischen Räten nicht, denn in ihr liegt von jeher ihre ganze Daseinsberechtigung. Diese heißt: «Nachfolge Jesu Christi mitten in dieser Welt», Nachfolge im radikalen Sinn verstanden, so wie die Apostel berufen wurden, alles liegenzulassen, ihre ganze Existenz auf die Person Jesu und seine Weisungen zu stellen. Das gesamtchristliche Paradox erhält in den Weltgemeinschaften seine höchste Sichtbarkeit und seine schärfste Prägnanz.
Von außen gesehen bleibt das Ideal der Weltgemeinschaften abstrakt (das heißt im Konkreten nicht lebbar, ein Kompromiss). Die Kritik an ihnen hat es leicht, auf allen Stufen. Ihre Antwort auf diese Kritik ist stockend und mühsam; wo sie sich beredt gibt, wird sie unglaubhaft. Seien wir ehrlich: die Existenz der Weltgemeinschaften ist und bleibt schwierig. Sie ist vor allem eine immer neue unerbittliche Forderung: «Es muss gehen!»; sie ist kein ruhiger, errungener Besitz. Immerfort gilt es, die beiden gleichzeitig bestehenden Ansprüche auszubalancieren: selbständiges Verantworten und offene Bereitschaft, sich weiter verfügen zu lassen. Verwaltung der Güter, ohne innerlich daran zu hängen, echte Nächstenliebe bis zur Hingabe des Lebens, ohne in die ausschließliche Beziehung, wie die Ehe sie begründet, einzutreten. Aber hat uns denn Jesus das alles nicht vorgelebt? Ist die Existenz Pauli nicht eine vollständige Grammatik, in der diese Sprache gelernt werden kann? Sagt uns nicht schon elementare christliche Reflexion, dass, wenn ein Mensch sich ganz der absoluten, personalen und universalen Liebe Gottes weiht, er dadurch zutiefst in den Einsatz Gottes für die Welt – der bis zum Tod am Kreuz geht – mitengagiert wird? Wer aber meint, er finde in den Weltgemeinschaften einen leichteren Weg (als zum Beispiel im Karmel), einen «modernen» vielleicht, oder er könne hier «zwei Fliegen auf einen Schlag» treffen, täuscht sich gründlich und soll es gar nicht erst versuchen. Zu dem dauernden innern Einsatz, der hier verlangt ist, wenn das Salz der Erde nicht schal werden soll, braucht es mindestens soviel Großmut, soviel Verzicht – der nicht rechnet und zählt –, soviel innere totale Bereitschaft und Verfügbarkeit wie zum Leben in irgendeinem aktiven oder kontemplativen Orden.
Die Weltgemeinschaften sind eine in der Kirche approbierte, erwünschte Lebensform. Form heißt: sie sind keine ins Belieben der Mitglieder gesetzte Vereinigung (pia unio), sondern fügen sich in einen innerhalb der Kirche existierenden, wenn auch noch so losen, kaum sichtbaren Rahmen ein. Theologisch besagt dies: die Hingabe der Einzelnen an Gott und an sein Weltwerk ergeht in eine kirchlich gutgeheißene Struktur von Gemeinschaft hinein, die befugt ist, diese Hingabe entgegenzunehmen und ihr den Charakter einer endgültigen Weihe der Gesamtexistenz zu geben. Damit erst ist die Hingabe dem Bereich meiner Beliebigkeit entzogen. Der heute so gängige Gedanke, man könne sich ehrlicherweise nicht auf Lebenszeit binden, es müsse immer (in Ehe, Priestertum, Ordensleben) die Tür zum Rückzug offen bleiben, widerspricht zuinnerst dem Endgültigkeitscharakter des Tuns Gottes für uns und unserer Antwort an ihn. Weltgemeinschaften können mit Recht eine lange Probezeit ansetzen, ehe sie zur endgültigen Bindung zulassen: so fordert es ihre exponierte Existenzform. Aber gemeint ist von Anfang an und durch alles hindurch die ganze Lebenshingabe.
Die Weltgemeinschaften sind jung. Vielfach experimentieren sie noch und entdecken dabei, dass manches in ihnen der Revision oder der besseren Absicherung bedarf. Für alle schwierig bleiben die Probleme einer soliden religiösen Ausbildung, die neben der beruflichen einhergehen muss, und des Gemeinschaftslebens, das, auch wenn manche Mitglieder einzeln oder in ganz kleinen Gruppen wohnen, doch soweit gelingen muss, dass das Bewusstsein der Gemeinschaft nicht verkümmert und die unerlässliche Förderung durch sie nicht leidet. Auf der Gratwanderung zwischen Reich Gottes und Reich dieser Welt können nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Institute von einem Schwindel befallen werden und in den Abgrund entweder einer einseitigen Geistlichkeit oder einer übertriebenen Weltlichkeit zu stürzen drohen. Sie existieren lebendig nur in einem täglichen «Wachen und Beten», einer dauernden Unterscheidung der Geister. Wer einen sichernden Stall sucht, muss sich anderswohin wenden.
Aber vielleicht ist diese innere stete Gefährdung heute die beste Empfehlung. Manche drängen sich, wie schon gesagt, an die Stelle, wo die Weltgemeinschaften stehen, ohne dazu berufen zu sein: von einer Verwandlung bestehender Orden und Kongregationen in Weltgemeinschaften ist im allgemeinen abzuraten. «Ein jeder bleibe in seiner Berufung» (1 Kor 7,24). Anderseits wissen wir nicht, wie lange es bei uns noch Orden und Kongregationen gibt, oder ob sie nicht, wie in manchen Ostländern, auf kleine, «ungefährliche» Aktionsfelder eingeschränkt werden. Was dann? Im Osten sind es nur noch (geheime) Weltgemeinschaften, die im weltlichen Bereich als wirksame kirchliche Gruppen im Einsatz stehen. Vielleicht schlägt die entscheidende Kirchenstunde für diese neue Lebensform erst noch, und sie sollte bis dahin die Zeit gut nützen, um durch vielfache Erprobungen ihrer Möglichkeiten sich bereit zu machen.
Das große Übergewicht der weiblichen Gemeinschaften über die männlichen ist anormal. Es müssen Wege gefunden werden, Männern im weltlichen Beruf diesen Weg zugänglicher und anziehender erscheinen zu lassen. Es gibt auch approbierte Weltgemeinschaften von Priestern, die in der heutigen Kirche Bedeutsames leisten. Dass sie gerade den Namen «Weltgemeinschaften» tragen, ist von theologischer Seite bemängelt worden, lässt sich aber vielleicht doch daraus rechtfertigen, dass diese Priester, ihre Christusnachfolge sehr ernstnehmend, eine möglichst große Nähe zu den Menschen und durch sie zu den im Sinne Christi zu ordnenden Dingen dieser Welt erstreben. Sicher aber ist, dass alle Laiengemeinschaften auf Priester, die ihr besonderes Ideal verstehen, angewiesen sind; und manche Gemeinschaften bergen sinnvollerweise einen männlichen, weiblichen und priesterlichen Zweig in sich, die entsprechend den Umständen zusammenarbeiten.
Das Paradox bleibt: ganz für Gott und ganz für die Welt – in einer kirchlichen Gemeinschaft. Gelebt kann es werden, weil der ganze Gott sich in Christus für die ganze Welt eingesetzt hat, und weil der Ort, wo er dies immer neu tut, die Kirche Christi ist, das «Sakrament der Welt».
Hans Urs von Balthasar
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Weltgemeinschaften – ein Paradox
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2023Typ:
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