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Die Würde der Liturgie
Nur mit Furcht und Zittern kann dieses Thema angegangen werden. Welche Liturgie von Menschen wäre denn «würdig» des Gegenstandes ihrer Verehrung, vor dem selbst im Himmel alle Wesen sich auf ihr Angesicht niederwerfen, ihrer Kränze und Kronen sich entledigen und sie in der Gebärde der Anbetung vor den Thron Gottes hinlegen: «Du allein, Herr, unser Gott, bist würdig, Lobpreis, Ehrung und Macht entgegenzunehmen» (Offbg 4,11)? Diese himmlische Rückgabe aller von Kreaturen empfangener Würde an den, «der das All durch seinen Willen geschaffen», kann eine irdische Gemeinde aus Sündern nur von vornherein in die Knie zwingen zu einem «Domine, non sum dignus». Wenn diese zu Lob und Verehrung versammelte Gemeinde etwas anderes im Sinn trüge als den Akt vollkommener Anbetung und Selbstübergabe – etwa ihre eigene Erbauung oder irgendein Unternehmen, in dem sie selber neben dem Herrn, dem gehuldigt werden soll, thematisch werden sollte, so wäre das eine befremdliche, wenn auch noch so naive Selbsttäuschung.
In einer rein monotheistischen Religion ist die Gebärde der Proskynese der vollkommenste Ausdruck der Hingabe der ganzen Person, auch in großer Versammlung: welcher Christ kann ohne tiefe Ergriffenheit die lautlos anbetende Menge in einer Moschee betrachten! In einer Religion des Bundes wird das Hören des Wortes Gottes, der Tora, in der Mitte stehen: Gott spricht, der Mensch empfängt im Gehorsam, mit seinem Herzen suchend, wie er recht antworte. Und es können sinnbildliche Riten hinzutreten, wie das stehend, im Aufbruch verzehrte Paschamahl, die letzte Stärkung vor dem Auszug in die Wüste, dem leitenden Gott nachfolgend.
Dann aber, in der trinitarischen Religion, die ungeheure Verwandlung: des beliebigen, im Kreis der Sippe verzehrten Schafs in «das Lamm von Anbeginn der Welt geschlachtet», «das die Sünde der Welt hinwegträgt» und sein «Fleisch und Blut als wahre Speise und wahren Trank» dahingibt; man versteht jene Häretiker (auch wenn man ihre Verurteilung ebenfalls versteht), die vor dem Übermaß dieses göttlichen Mysteriums zurückschreckten und die Gläubigen beschworen, das Unsagbare, Fürchtenswerte nicht gemein zu machen, eingedenk der Worte Pauli: «Wer unwürdig das Brot ißt und den Kelch des Herrn trinkt, vergeht sich am Leib und Blut des Herrn. Darum prüfe sich der Mensch», damit er sich nicht «das Gericht ißt und trinkt» (1 Kor 11,27-29). Wir sind von Gott selbst angehalten, ja genötigt, falls wir das ewige Leben gewinnen wollen, «das Fleisch des Menschensohnes zu essen und sein Blut zu trinken» (Joh 6,53), können es aber nur tun, indem wir des «schaudervollen Tausches»1 zwischen unserer Schuld, die er trägt, und seiner Unschuld, die er uns am Kreuz schenkt, eingedenk sind. Indem wir ihn in uns aufnehmen, erinnern wir uns, daß er uns in seiner Passion in sich aufgenommen hat, daß wir, wie Augustin wiederholt sagt, den Arzt empfangen, der uns heilt, indem wir ihn zu Tode gebracht haben: «Sooft ihr nämlich dieses Brot eßt und diesen Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt» (1 Kor 11,26). Und doch dürfen wir nicht als Verlegene und Niedergeschlagene hinzutreten, denn der Herr, der zu uns kommen will, nennt uns seine Freunde (für die er gestorben ist: Joh 15,13), er will nicht, daß wir «fremd tun» (wie die Jünger beim Mahl am See von Tiberias, Joh 21,12), sondern unsere Seelen weit öffnen, um die Gabe des Vaters entgegenzunehmen. Denn unser Blick ist bei der Feier nicht auf Jesus eingeengt, sondern zu Dem erhoben, von dem letztlich die höchste aller guten Gaben stammt, zum Vater, und die Öffnung und Erhebung bewirken nicht wir selbst, sondern der Heilige Geist des Vaters und des Sohnes, der uns in die Herzen eingegossen ist. Auf den dreieinigen Gott ganz allein ist die anbetende Gemeinde, die Gottes Großmut und Freigebigkeit feiert, hin gesammelt.
Gottes Glorie, die Majestät seiner Herrlichkeit, kommt mit kostbarsten Gaben auf uns zu, die wir «die Glorie seiner Gnade zu preisen» haben (Eph 1,6). Diese letzte Forderung ergibt Norm und Maßstab für die Gestaltung unserer Gottesdienste. Es wäre lächerlich und blasphemisch, wollten wir Gottes Gnadenherrlichkeit mit einer aus unsern eigenen geschöpflichen Reserven geschaffenen Gegen-Herrlichkeit beantworten, in Gegensatz zu den himmlischen Liturgien, die uns die Apokalypse als gänzlich von der Herrlichkeit Gottes überwältigt und durchformt schildert. Wie immer die Antwortgestalt unserer Liturgie aussehen mag, sie kann nur Ausdruck möglichst selbstlosen Empfangs der göttlichen Gnadenmajestät sein, wenn auch Empfang nichts Passives besagt, viel eher das Aktivste, dessen die Kreatur fähig ist.
Was kann solch aktiver Empfang nicht besagen: das sei unsere erste Frage; welche Gestalt kann er annehmen: das sei unsere zweite. Beide Fragen sind nicht, wie wir sehen werden, sauber trennbar, weil Formen, die in gewissen Menschen solche des reinsten Empfangs sind, in andern zu solchen der Selbstbespiegelung und weltlichen Gefälligkeit werden können.
Sicher ausgeschlossen ist alles, was die Gemeinde vom Aufmerken auf Gott und sein Kommen ablenkt und ihre Blicke auf sich selber zurückwendet – es sei denn im Augenblick der Gewissenserforschung, des Schuldbekenntnisses und des «Domine, non sum dignus». Alles Feierliche, das die Herzen und Gedanken nicht auf den Gefeierten hinlenkt, ist von Übel, und dies um so mehr, je mehr sich die Eigenschaft der Feierlichkeit vom Gegenstand ablöst und sich selber zum Zentrum wird. Schon sind wir bei der Zweideutigkeit, für die noch ausführlichere Beispiele zu liefern sein werden: daß das für Gott allein Reservierte, der Lobpreis der Herrlichkeit, vom Preisenden auf sich zurückgewendet wird, so daß ein Teil des Glanzes auf ihn selber fällt. Es kommt oft vor – und heute scheint die Gefahr noch größer als in früheren Zeiten –, daß eine liturgische Gemeinde das Gelingen einer Feier nach ihrer eigenen Erbauung bemißt, nach dem Maß, wie sehr die Teilnehmer dabei «mitmachen» und davon «ergriffen» werden, statt sich von Gott und seinen Gaben ergreifen und ihn «machen» zu lassen. Es gibt Gemeinden, die vielleicht unbewußt, viel mehr sich selber feiern als Gott, und dies gilt ebenso wohl von traditionell wie von progressiv gestalteten, von Gottesdiensten alteingesessener Pfarreien wie von frei geformten, wie die Jugend sie liebt. Das heißt, daß auch das Kriterium der «Lebendigkeit» eines Gottesdienstes ein höchst zweideutiges bleibt; fragt es sich doch immer, ob er eine lebendige Öffnung und Umkehr der Herzen erwirkt oder den Selbstgenuß der eigenen Lebendigkeit. Natürlich tritt diese Zweideutigkeit in besonders akuter Weise bei der Homilie oder Predigt zutage, die nur auf eins ausgerichtet sein darf: die Aufmerksamkeit aller (und des Predigers selbst) auf das gefeierte Mysterium in seinen unerschöpflich vielfältigen Aspekten zu lenken und dabei keinerlei Reflex vom göttlichen Glanz auf den Redner und seine Rede zurückfallen zu lassen.
Das Problem kompliziert sich, wenn der richtige Gedanke geäußert wird, daß mit dem Ernst des «heiligen Tausches», den wir feiern, die Freude des erlösten, über alles Maß beschenkten Menschen sich vermischt. Es ist ein tiefsinniges Rätsel, wie im Christenleben Kreuz und Auferstehung zusammen gelebt werden können, und die Antworten darauf sind keineswegs eindeutig. Es gibt eine Gleichzeitigkeit: tiefe, verborgene, vielleicht kaum fühlbare Freude in einem Leid, das den Menschen ganz in Beschlag nehmen kann; es gibt auch einen Phasenwechsel im christlichen Leben, so wie Witterungen und Jahreszeiten aufeinander folgen. In der gemeinsamen Liturgie der Gemeinde müssen sowohl die Sammlung vor dem Ernst des Mysteriums wie die Freude darüber in einer zusammenpassenden, der Objektivität des gefeierten Geheimnisses zugewandten Weise zum Ausdruck kommen, auch wenn zuzugeben ist, daß die menschliche Freude bei verschiedenen Völkern oder auch Lebensaltern verschiedene Ausdrucksformen finden kann. Wieder spielt die Amphibolie: Was an Äußerungen der Freude echtes Gotteslob ist, sich so versteht und von den übrigen so verstanden werden kann, gehört zum Bereich angemessenen Ausdrucks liturgischen Betens, was dagegen subjektiver Ekstatik zuneigt, keinesfalls. (Es ist leicht, die subtile, bis ins letzte gebändigte Symbolik kultischer Tänze Asiens zu unterscheiden von solchen, die der Berauschung des Tänzers und der Zuschauer dienen). Echte christliche Freude kann in der Weise zum Ausdruck kommen, wie eine Gemeinde einhellig singt, wie ein Priester die Gebete des Kanons oder der Orationen spricht, ein Diakon den heiligen Text vorträgt, und das christliche Herz des Volkes unterscheidet sofort dieses Echte von allem äußerlich Gestellten, Rhetorischen und vielleicht innerlich Gelangweilten. Keiner sei der Meinung, der Primat der Objektivität dispensiere das Subjekt von seinem Beitrag; dieser wird aber dann am besten entrichtet, wenn jedermann spürt, daß sich das Subjekt ganz in den Dienst des Mysteriums stellt.
Etwas Geschmackloses ist seit dem (falsch ausgelegten) Konzil in die Liturgie eingedrungen: die Jovialität, die Anbiederung des Zelebrierenden mit der Gemeinde. Diese ist zum Beten und nicht zu einem gemütlichen Austausch gekommen; seltsamerweise ist durch diese Mißdeutung der Eindruck der postkonziliaren Liturgie wesentlich klerikaler geworden als früher, da der Priester von vornherein als bloßer Diener des Gefeierten auftrat. Die persönlichen Kontakte sind vor und nach dem Gottesdienst durchaus erwünscht, aber während der Feier blicken alle gleicherweise auf den einzigen Herrn.
Die Neigung einer Gemeinde, sich selber zu feiern statt Gott, wird sich unvermerkt, aber auch unbedingt steigern, wenn der Glaube an die Realität des eucharistischen Ereignisses verblaßt. Wenn eine gleichsam rudimentäre Kirche, versammelt, um ihren Herrn zu erwarten und sich von ihm erfüllen zu lassen, sich von vornherein als die schon vorhandene betrachtet, der nichts Wesentliches mehr hinzugefügt werden kann, dann wird die eucharistische Feier zu einem bloßen Symbolismus degenerieren und die Gemeinde wird nichts anderes feiern als ihre eigene Gottseligkeit, die vorher da war und sich durch die erneute Versammlung bestärkt fühlt: Pharisäismus ist nah. Im Gegenteil: wenn die versammelten Menschen im Innersten fühlen, wie nötig sie die Ankunft des Herrn unter ihnen und in ihnen haben, um zu einer wirklichen Kirche zusammenzuwachsen und jeder für sich von kirchlicher Gesinnung erfüllt zu werden: dann wird dem objektiv Sichereignenden ein antwortendes subjektives Ereignis entsprechen. Mit dem Bewußtsein der eigenen Unwürdigkeit wächst die Würde der Liturgie. Diese kann also gar nicht manipuliert oder technisch hergestellt werden: ist die christliche Haltung der (Mehrzahl der) Gemeinde und des Priesters echt, so ist die Feier «würdig».
Man kann hier aber – und damit gelangen wir ohne merklichen Übergang zum zweiten – ein seltsames Phänomen beobachten. Es gibt objektiv würdige «Formen» liturgischen Betens, die sich natürlich nur in Zeitaltern echter subjektiver Gebetshaltung ausbilden konnten, wie unsere ehrwürdigen Canones, Kollekten und andern Meßgebete, die durch Jahrhunderte subjektiven Mitbetens etwas wie ein neues Schwergewicht an Würde erhalten haben. Und nun meinen manche, sich von diesen Formen tragen zu lassen, sich den Jahrhunderten von Mitbetern anzuvertrauen, verbürge bereits ihre rechte subjektive Haltung. Sie täuschen sich darin. Für sie hat die Würde der Form – eine vielleicht wunderbar patinierte ästhetische Würde – das Übergewicht über die immer neue, nie objektivierbare Würde des göttlichen Ereignisses. Das Bewußtsein gegenwärtiger Herrlichkeit hat der großen kirchlichen Tradition die Inspiration zu Werken unvergleichlicher weltlichen Schönheit geschenkt; aber diese Werke werden für die gegenwärtige Liturgie nur verwendbar, wenn der Mitfeiernde – durch das Schöne hindurch – nicht nur zu ästhetischen Empfindungen angeregt wird, sondern jener Herrlichkeit Gottes zu begegnen vermag, zu der die Schöpfer solcher Werke hinleiten wollten.
Zum Bereich dieser Werke gehört nicht nur der gregorianische Gesang, die Welt um Palestrina, ein großer Teil der alten deutschen (zumal protestantischen) Kirchenlieder, sondern auch die Hohe Messe Bachs, die Messen Haydns, die Litaneien Mozarts und – ein Höhepunkt musikalisch geprägten Glaubens: das unvollendete Credo seiner c-moll-Messe –, das Kyrie der Es-Dur-Messe Schuberts: Wenn alle solche und ähnliche Werke von den Sängern wirklich gebetet werden, vermögen sie in Menschen, die das Sensorium nicht nur für das Schöne, sondern das Heilige, das Göttlich-Herrliche haben2, etwas von der wahren Ursprungsinspiration zu vermitteln. Wer nur das Schöne hört, nur davon ergriffen wird, kann ein ersatzreligiöses Erlebnis haben – wie die vielen, die sich am Karfreitag die Matthäuspassion anhören –, aber sie bleiben in einer Täuschung bezüglich des wahren Sinnes des Gehörten befangen.
Ob «schöne» Liturgie (die um schön zu sein, gewiß nicht des für die meisten unverständlichen Lateins bedarf) nur für gewisse Generationen schön ist, während nachfolgende ihre Schönheit nicht mehr wahrzunehmen vermögen, kann als Frage offen bleiben. «Auch das Schöne muß sterben», und Einbalsamierungen bekommen ihm nicht. Aber keinesfalls darf es durch Häßliches oder Gemeines, durch Triviales oder Gehaltloses ersetzt werden, sondern bestenfalls durch schlichtes, das dem nicht mehr verständlichen weltlich Großartigeren an Würde nicht nachzustehen braucht. «Selig die Armen im Pneuma», falls sie nur ihre Armut eingestehen und sie nicht für sich zu bemänteln suchen. Wenn ein Geschlecht keine echten religiösen Bilder für die Kirche zu schaffen vermag, soll sie nicht sagen, leere Wände konzentrierten den Geist wirksamer auf das Wesentliche. Wenn wir kleine Leute geworden sind, sollten wir das Mysterium, das wir feiern, nicht auf unser Format zu reduzieren suchen. Und wenn wir weithin würdelos geworden sind, sollten wir durch unser Glaubensbekenntnis immerhin soviel Sinn für die Majestät Gottes behalten haben, das wir uns dort, wo wir ihr begegnen, den Abstand noch fühlen – größere Zeitalter mögen ihn stärker gefühlt haben – und uns Gott gegenüber echt benehmen.
Oft werden die Laien dies unmittelbarer können als der Pfarrer und der Vikar, die von den vielen billigen pastoralen Angeboten verwirrt sind; dann ist es ihre Aufgabe, gegen würdelose Auswüchse zu protestieren und ihren berechtigten Wünschen nach Wahrhaftigkeit im Gottesdienst Nachdruck zu verleihen. Aber niemand nehme zu rasch das Amt in Anspruch, den Arbiter Elegantiarum in der Kirche zu spielen. Wirklicher Schiedsrichter für die Würde der Liturgie ist das «schlichte Herz», das «einfältige Auge».
Der Christ weiß noch etwas: daß die Gemeinde Christi nie eine Masse ist, sondern die Versammlung von Einzelnen, die durch ihre Berufung zur Nachfolge, durch ihre Taufe in den Tod Jesu sowohl in eine Einsamkeit zu Gott – «Fremdlinge in dieser Welt»! – und zu einer Gemeinsamkeit in der Teilung des einen Brotes und einen Kelches «zusammengerufen» sind. Beide Seiten christlichen Daseins sind unabdingbar und müssen sich immer artikulieren können. Liturgie ist ein Akt nicht einer anonymen «Kirche», sondern einer Schar von Personen, die durch ihr Verhältnis zu Christus qualitativ solche sind. Dem muß die Gestaltung der Liturgie Rechnung tragen. Vorkonziliar war sie oft das zufällige Beisammensein einzelner in einem Raum, wobei jeder in die eigene Devotion versunken war; nachkonziliar ist sie noch öfter die Versammlung von solchen, die sich durch die Wellen eines rein sozialen Geschehens tragen lassen und weitgehend auf personales Beten verzichten, vielleicht ob des pausenlosen Redens des Zelebranten und Singens der Menge verzichten müssen. Und dies ungern, weil Menschen im Streß des Alltags und im Lärm von Mietskasernen weder Ort noch Zeit für persönliches Beten finden können. Dem muß Liturgie heute nicht nur aus pädagogischen, sondern auch und vornehmlich aus theologischen Rücksichten Rechnung tragen. Die Gemeinsamkeit des Betens und Singens muß Raum lassen für die Besinnung des Einzelnen: vor der Kollekte (deren Namen ja sagt, daß sie die persönlichen Bitten der Einzelnen zusammenfaßt), nach der Homilie, nach der Kommunion. Und der Zelebrant wird sinnvollerweise Winke geben, wie jeder die Zeit der Stille zu gestalten hat, damit sie etwas anderes sei als ein bloßes Warten darauf, daß es weitergeht.
Jeder ist durch seinen Ernst und seine Gebetsbereitschaft mitverantwortlich für das Gelingen einer würdigen Liturgie. Die Texte der ersten christlichen Jahrhunderte legen davon eindeutig Zeugnis ab. Die einmalige Qualität einer christlichen Versammlung zur Feier der Eucharistie ist Bürge dafür, daß es möglich ist, dem ewigen Vater «in Wahrheit würdig und recht zu danken» dafür, daß er durch die Hingabe seines Sohnes der Welt und jedem Einzelnen in ihr bewiesen hat, wie sehr er «die Liebe ist».
- «Phrikton synallagma», sagt Proklos von Konstantinopel († 446) in seiner ersten Marienpredigt (PG 65, 688 D; vgl. Martin Herz, Sacrum Commercium. In: Münchener Theologische Studien II, Bd. 15, München 1958, S. 71), dem im Lateinischen «Admirabile (bzw. ‹sacrum›) Commercium» entsprechen wird.↩
- Mein mehrbändiges Werk «Herrlichkeit» hat versucht, den Niveauunterschied zwischen dem innerweltlich Schönen und dem göttlich Herrlichen herauszuarbeiten. Kabod, das hebräische Wort, das griechisch mit doxa, lateinisch mit gloria übersetzt wurde, meint, von Gott ausgesagt, ebensowohl Mächtigkeit, Gewichtigkeit, Würde als hoheitliche Pracht. Doxa und gloria vermögen den Ursinn nicht voll wiederzugeben (H. Schlier übersetzt mit «Machtglanz»). Wenn wir hier von der Würde der Liturgie handeln, so ist zunächst gemeint, daß eine Ahnung vom göttlichen Kabod sich in ihr ausdrücken soll; diese kann sich in weltliche Schönheit übersetzen, die ebenso eine sehr schlichte wie eine prunkvolle sein kann. Von der Schönheit sagt man, sie sei interesselos; scheinbar kann sie deshalb im Gottesdienst nicht zu Religiösem «verzweckt» werden. Aber das ist ein Sophisma. Denn das Interesseloseste, was es gibt, ist die göttliche Herrlichkeit, die sich dreieinig in sich selbst und dann auch in die Welt verströmt. Es gibt deshalb keinen Vorwand, beim Ästhetisch-Schönen stehen zu bleiben (oder alten Meßformen nachzutrauern), denn im Gottesdienst ist alles auf die Herrlichkeit Gottes hin relativ.↩

Hans Urs von Balthasar
Original title
Die Würde der Liturgie
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Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2025Type:
Article
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